Drucken

Die superreiche Rachegöttin
Eine ganze Kleinstadt wird zumMörder: Friedrich Dürrenmatts verstörende Tragikomödie „Der Besuch der alten Dame“, 1956 uraufgeführt, ist keineswegs verstaubt, sie ist von zeitloser Gültigkeit. Im Chawwerusch-Theater erlebte man das Lehrstück über Gier, Rache und fragwürdige Gerechtigkeit ungewohnt: als Ein-Personen-Stück.

Glanzleistung: Astrid Sacher in der Dürrenmatt-Adaption „Ger(a)echt?“
Glanzleistung: Astrid Sacher in der Dürrenmatt-Adaption „Ger(a)echt?“   -  FOTO PETER HAHN

„Ger(a)echt?“ nennt sich etwas umständlich diese Variante des Dürrenmatt-Stoffs, die das Knirps-Theater Bad Ems in einem Gastspiel auf die Herxheimer Bühne brachte. Das Publikum – leider war der Saal nur zur Hälfte besetzt – erlebte eine eindrucksvolleInszenierung (Jürgen Flügge) und eine Glanzleistung der Schauspielerin Astrid Sacher.
Da braucht es nicht viele Requisiten: ein roter Boden, ein hoher Stuhl, ein zerschlissener Koffer. Ganz bescheiden, lächelnd mit einem leisen „Guten Abend“ huscht Astrid Sacher durch die Zuschauerreihen auf die Bühne. Und dann lässt ihre Spielkunst und Ausstrahlung die unfassbare Geschichte der „alten Dame“ innerhalb kürzester Zeit lebendigwerden.
Sie erzählt sie aus der Sicht der Tochter. Es geht um die Milliardärin Claire Zachanassian, die nach Jahrzehnten das Städtchen Güllenwieder aufsucht, in demsie geboren und aufgewachsen ist. Als 17-Jährige war sie mit Schimpf und Schande davongejagt worden, weil sie ein Kind erwartete. Der Vater Alfred Ill, heute ein angesehener Bürger, hatte sich der Verantwortung entzogen. Nun kommt die alte Dame zurück, einen Sarg im Gepäck, und will Gerechtigkeit. Also Rache. „IchkannGerechtigkeit kaufen – mit meinem Geld“, sagt die superreicheRachegöttin. Eine Milliarde setzt sie zur Belohnung aus, zurHälfte für die Gemeinde, die andere verteilt an alle Bürger– unter der Bedingung, dass Alfred Ill getötetwird. Was das mit den Menschen macht,
wie die bürgerlich-moralische Fassade in kürzester Zeit zusammenkracht, stellt Astrid Sacher beklemmend, aber gleichzeitig mit düsterem Humor dar. Sie schlüpft in atemraubendem Wechsel in verschiedene Rollen derGüllener Bürgerschaft, die sie grotesk überzeichnet. Da ist zumBeispiel der Lehrer, der immermit erhobenem Zeigefinger daherstolziert, der joviale wichtigtuerische Bürgermeister, der Alfred gönnerhaft eine Pistole überreicht („Sie könnten uns doch ein bisschen die Arbeit abnehmen“) und der salbungsvolle Pfarrer, ein Heuchler vor dem Herrn. Nicht zuletzt die Figur des Alfred, erst polternd und schleimig, später panisch, ein Bündel derAngst. Wie die Schauspielerin diese Charaktere und noch viele mehr mit ständig wechselnden Gesten und Stimmen auf der kargen Bühne verkörpert, das ist hohe Schauspielkunst.
Am Ende stirbt Alfred, schuldig haben sich alle gemacht. Die Inszenierung ist – bis auf einen kurzen Dialog – nicht der Versuchung erlegen, direkte Anspielungen auf die heutige Zeit in das Stück aus der Nachkriegsepoche einzubauen. Der Bezug stellt
sich aber von selbst ein. „Ger(a)echt?“ ist eine Parabel über Hass, Gier und Korruptheit, über die Bereitschaft, Menschenleben zu opfern, umden eigenen Wohlstand zu sichern und zu vermehren, und bleibt damit hochaktuell.

Rheinpfalz - von Rita Reich, 30.09.2023 - https://www.rheinpfalz.de/startseite_artikel,-starkes-gastspiel-bei-chawwerusch-die-d%C3%BCrrenmatt-variante-geraecht-_arid,5571901.html


Mitreißendes Einfrautheater am GymTT

Gymnasium Traben-Trabach, 01.02.2023

Eine Schauspielerin, ein Möbelstück und drei Requisiten auf einer blutroten Bühne: Mehr benötigte das Knirps-Theater nicht, um 70 Schülerinnen und Schüler in die Tiefen von Schuld, Rache und Gerechtigkeit zu reißen!
Dabei fängt alles so harmlos an: in den großen Klassenraum am Moselgymnasium kommt eine Frau mit Koffer, begrüßt alle freundlich und setzt sich ganz unspektakulär auf einen etwas seltsamen Stuhl. Doch schon nach kurzer Zeit bricht ein theatrales Gewitter los, in dem die Schauspielerin Astrid Sacher 14 verschiedene Rollen ganz alleine spielt und so das jugendliche Publikum in den Bann des Stückes „Der Besuch der alten Dame“ zieht.
Allerdings wurde nicht genau das Stück von Dürrenmatt gespielt, sondern ein komisch-bösartiges Solo, bei dem die Tochter jener alten Dame mit Rückblenden ihre Sicht der Ereignisse präsentiert. Dabei ist der Wechsel der Rollen fließend und wird über typische Gesten, Haltungen, Stimmen und schließlich die Position zum einzigen Möbelstück auf der Bühne verdeutlicht. Es wird quasi um den Stuhl herumgespielt und dieser ist wahlweise einfach ein Stuhl oder eine Kanzel, ein Tresen, ein Balkon oder ein Versteck! Und genau in diesem Konzept liegt auch die besondere Wirkung des Stückes. Minimaler Aufwand bei maximalem Ausdruck, denn das, was Astrid Sacher auf der Bühne in 70 Minuten abliefert, ist ein grotesk-lustvolles Panoptikum an Schauspielkunst, mit dem sie die schrägen Charaktere ihrer Figuren belebt.
Die Schülerinnen und Schüler waren dementsprechend nach dem Stück auch sichtlich begeistert und stellten bei der nachfolgenden Fragestunde viele Fragen nicht nur zum gesehenen Stück und dessen Interpretation, sondern auch zum Konzept der Adaption, zu Schauspielkunst allgemein und zu den Möglichkeiten und Grenzen des Darstellbaren. Das war kein Wunder, denn schließlich befanden sich auch einige Schülerinnen und Schüler mit dem Fach Darstellendes Spiel unter den Zuschauern – und diese waren natürlich brennend interessiert daran, Informationen direkt von der „Quelle“ zu bekommen.

von Kai aus dem Bruch, Gymnasium Traben-Trabach


Alte Dame auf neuer Freilichtbühne

TROMM, 08.08.2022

Jürgen Flügge und Astrid Sacher bringen Dürrenmatts Erfolgsstück als mitreißendes Solo in schlichtem Rahmen auf die Bühne des Trommer Sommers.



Tromm. Nach und nach füllt sich die kleine, feine Freilichtbühne des Spielplatzes beim Odenwaldinstitut. An diesem Bilderbuchsommerabend wird sie von Astrid Sacher eingeweiht, mit einer Premierenvorstellung, die bestes Schauspiel auf eine wohltuend minimalistisch ausgestattete Bühne bringt.
Eine rund zehn Quadratmeter große rote Folie steckt den Bewegungsraum ab, in dem die Darstellerin in den folgenden gut 70 Minuten im Stück „Ger(a)echt?“ einer Menge verschiedener Charaktere Gestalt und Stimme gibt. Immer wieder erhebt sie mit zynischem und deutlich verletztem Ton die Stimme der Milliardärin Claire Zachanassian. Im nächsten Moment wird sie zum anfänglich überheblichen und selbstsicheren Alfred Ill, und beim Besuch der alten Dame im verarmten Städtchen Güllen verwandelt sich der Stuhl – neben einem Kasten die einzige Bühnenrequisite – vom Bahnhofunterstand in ein Rednerpult, ehe das einstige Clairchen als gestandene Claire auf dem Stuhl majestätisch sicher Platz nimmt.
Bei all der Fülle verschiedenster Charaktere spielt Astrid Sacher bewundernswert sicher durch eines der bekanntesten deutschsprachigen Schauspiele. Dem Schweizer Friedrich Dürrenmatt brachte die Uraufführung der tragischen Komödie „Der Besuch der alten Dame“ im Jahr 1956 den internationalen Durchbruch. Dass der Inhalt nie verstaubte und gerade in den heute herrschenden Krisen an Aktualität zunahm, macht die zum Solostück zusammengefasste, konzentrierte Inszenierung beim Trommer Sommer am Samstagabend umso kostbarer.
Ironische Anspielungen
Regisseur Jürgen Flügge und Astrid Sacher haben dem Spiel um Rache und Gerechtigkeit, um Scheinmoral und Macht eine Menge Feinschliff verpasst. Es wurde mit Leidenschaft für die Bühne, mit Gefühl für den Rhythmus der Handlung, ihre Kehrtwendungen und ironischen Anspielungen gearbeitet. Die Wechsel der Personen sind fließend, ihre Gesten stimmig. Sacher kann so mitreißen und die Handelnden so lebensnah mimen, dass es sogar unvermittelt aus dem Publikum kurze Reaktionen und Zurufe gab – eine Zustimmung besonderer Güte. Dürrenmatts provokante Botschaft von der käuflichen Gerechtigkeit entfaltet auch in „Ger(a)echt?“ in Verbindung mit dem korrupten Polizisten, dem scheinheiligen Geistlichen oder der manipulierten Presse ihre Wirkung. Da entwickelt sich Zündstoff für Diskussionen über Moral. Als es schon zu spät ist, als sich die Schuld bereits ihren Weg durch die Bürger von Güllen gebahnt und der kollektive Wunsch nach materiellem Wohlstand alle erfasst hat, wird die grausame Tat am schuldigen Alfred Ill als unvermeidliches, gerechtes Opfer vollzogen.
„Diese Stadt machte mich zur Hure, jetzt mache ich sie zum Bordell.“ Dieser zweimal gesprochene Kernsatz ist wie ein Damoklesschwert, das über einer Gemeinschaft hängt. Als Zuschauer bleibt man reflektierend mit vielen Zweifeln an sich selbst zurück. Die sind gerade heute wohl angebracht in einer Zeit, in der sich viele selbst der Nächste sind. Umso mehr ist es Flügge und Astrid Sacher zu wünschen, dass ihre Version der alten Dame öfter in Schulen aufgeführt werden kann, denn dafür ist die mit einfachstem Bühnenbild arbeitende Inszenierung geradezu prädestiniert. Weil erstmals beim Trommer Sommer auf der kleinen Freilichtbühne große Schauspielkunst geboten wurde, war der lange anhaltende, starke Beifall am Ende auch absolut angebracht.

Pressebericht Odenwälder Zeitung,
Premiere beim „Trommer Sommer“ Festival 08.2022


Zuschauerstimmen: