Ein höllisch guter „Faust“
Trommer Sommer: Dritte Soloproduktion von und mit Astrid Sacher überzeugt auf allen Ebenen. Goethes Klassiker neu interpretiert
Von Melanie Kummer

Tromm. Schwarzer Hintergrund, Leitern, dazwischen ein Tresen, Messinggeschirr.
Einer der größten Stoffe der deutschen Literaturgeschichte und eine einzige Frau: Astrid Sacher.
Mehr braucht es nicht, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Das Duo Jürgen Flügge (Regie und Text) und Astrid Sacher (Schauspiel und Text) präsentierte mit der Premiere von „#Faust #Gretchen“ beim Trommer Sommer eine kreative und moderne Neuinszenierung, die dennoch dem Originaltext alle Ehre zollt.

Goethes Faust ist fast schon zu Tode gespielt–könnte man meinen. Der volle Saal am Freitagabend im Hoftheater auf der Tromm würde dem wohl nicht zustimmen. „Wir spielen einen Klassiker und der Saal ist voll“, sagte Hoftheater-Intendant und Regisseur Jürgen Flügge freudig überrascht.

Höllische Rollenwechsel
Um der Ein-Frau-Besetzung gerecht zu werden, inszenierten Sacher und Flügge das Drama als Geschichte in der Geschichte. Goethes Haushälterin Marthe Schwerdtlein – die als Nachbarin Gretchens auch Einzug ins Stück erhalten hat – erzählte in ihrer Küche die Geschichte.

Sacher schlüpfte gekonnt und überzeugend in alle Rollen: ob als wunderbar diabolischer Mephisto, als pathetischer, in seiner Faszination für ein junges Mädchen zuweilen abstoßender Doktor Faust oder als zunächst schüchternes und naives, schließlich von Schuld und Verzweiflung zerfressenes Gretchen. Beeindruckend, was Sacher in den rund 75Minuten, die eigentlich nur aus Monologen und zahlreichen Rollenwechseln bestanden, allein auf die Bühne bringt.


Astrid Sacher überzeugt als Marthe Schwerdtlein, die Ordnung in Goethes Erzählung bringt und den „Faust“ zum Leben erweckt. BILD: FRITZ KOPETZKY

Wie schon im vergangenen Jahr bei „Oh meine Götter“ setzten Sacher und Flügge wieder auf ein minimalistisches Bühnenbild, gestaltet von Kerstin Sauer, das mit multifunktionaler Kreativität eingesetzt wurde. Vor schwarzem Hintergrund war zwischen Leitern eine „Küchentheke“ aufgespannt, die mit passenden Utensilien ausgestattet war. Diese wurden dann auch just zumT eil der höllischen Geschichte: Aus einer Messingbackform wurde Gottes Heiligenschein und ein Teleskopstaubwedel war der teuflische Pudel.

Die Handlung selbst orientierte sich stark am Originaltext. Nahezu alle Szenen aus „Faust I“ fanden ihren Weg in das Stück: Von der Wette im Himmel über den Pudel, die Wette zwischen Faust und Mephisto, den Besuch in der Hexenküche bis hin zur Begegnung mit Gretchen und der darauf folgenden Tragödie.

Das war Sacher, die gemeinsam mit Flügge das Stück geschrieben hat, wichtig, erklärt sie. „Ich habe den ,Faust‘ schon in der Schule geliebt. “Besonders die poetische Sprache habe es ihr angetan. Kein Wunder also, dass Goethes Worte, anders als bei vielen Neuinszenierungen, höchstselbst Einzug halten sollten. Kunstvoll erweckte Sacher ganze Passagen aus dem Originaltext zum Leben, eingebettet in Marthe Schwerdtleins modernen, dialektgefärbten Konversationston. Heraus kam eine erfrischende, teils herrlich makabre Komik, die das Publikum das eine oder andere Mal zum Lachen brachte. Nur um im nächsten Moment ernste Töne anzuschlagen.

Stoff subtil kommentiert
Denn auch wenn „Faust“ schon gut 200 Jahre alt ist, ist er überraschend aktuell: Schließlich geht es um einen alten Mann, der sich in seiner Lebenskrise an ein unschuldiges, naiv junges Mädchen heranmacht, das kaum die Pubertät erreicht hat, und ihr Leben so zugrunde richtet. Des „Pudels Kern“ liegt also im Machtmissbrauch, patriarchalischen Strukturen und deren Opfern. Ein schweres Thema, das Sacher aber gekonnt nuanciert und subtil –mit Körpersprache, Blicken und Ton– kommentierte. Ganz ohne explizit etwas auszusprechen.

Auch dem Publikum scheint es gefallen zu haben:
Denn als der metaphorische Vorhang gefallen war, wollten Applaus und Jubelrufe gar kein Ende mehr nehmen.

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