Göttin, Dämonin oder doch Hexe?
Trommer Sommer:
Astrid Sacher entführt mit „Oh meine Götter“ auf eine Reise durch die Jahrtausende. Im Zentrum steht die Frage: Woran soll man glauben?

Eine Frau in einem blutroten Kleid läuft murmelnd über die Bühne. Sie bekreuzigt sich, fällt in Gebetspose auf den Boden, beginnt zu meditieren – aber nichts will so richtig passen. Die namenlose Protagonistin steckt in einer Glaubenskrise: „Ich will so gern glauben, an irgendwas. An irgendwen“, sagt sie. Aber weder das Kloster noch die „schamanische Schwitzhütte“ hätten sie weitergebracht. Erst als sie einer „Pennerin“, die sich als die legendäre, jahrtausendealte Lilith entpuppt, begegnet sei, habe sich das geändert.

Das Stück „Oh meine Götter“ wurde gemeinsam mit Jürgen Flügge vom Hoftheater Tromm entwickelt und war zweimal im Rahmen des Trommer Sommers zu sehen. Das minimalistische Bühnenbild und clever durchdachte Kostüm steuerte Kerstin Sauer bei. „Oh meine Götter“ beweist, dass es auch mit kleinen Mitteln möglich ist, sich mit den großen Fragen zu beschäftigen.

Mit Lilith durch die Geschichte.

Im Zentrum von „Oh meine Götter“ stehen Lilith und ihre Geschichte – Naturgöttin, Kinder fressende und Männer verführende Dämonin, Pandora, erste Frau Adams, wieder Dämonin, dann Ur-Hexe im Mittelalter. Teils nachdenklich, teils leichtherzig und auch mal sarkastisch streift Lilith durch die Mythen der Geschichte: vom Gilgameschepos und den Olympiern der alten Griechen über Bibel, Tora und Koran bis hin zum Hexenhammer. Schließlich steckt selbst Lilith in einer Glaubenskrise: „Was machen die Menschen aus mir?“, ruft sie fragend.

 Das Stück setzt sich mit Religions- und Glaubensfragen kritisch auseinander: Sind die Menschen nur Schachfiguren im göttlichen Spiel oder haben sie einen freien Willen? Sind Islam und Christentum wirklich so verschieden? Was machen die Menschen aus den Göttern und ist Gott wirklich tot? Und: Woran soll man glauben? Liliths abschließende Empfehlung lautet: Die Nächstenliebe, die haben schließlich alle Religionen gemeinsam.

 In das Stück ist viel Recherche geflossen, erzählt Sacher im Anschluss Trommer Sommer: Astrid Sacher entführt mit „Oh meine Götter“ auf eine Reise durch die Jahrtausende. Im Zentrum steht die Frage: Woran soll man glauben? im Gespräch mit der Redaktion. Sie habe sich damit beschäftigt, was Religion eigentlich ist – ein sehr weites Feld. Flügge habe ihr im Nachgang dabei geholfen, den gesammelten Stoff rund um die Religionsgeschichte auf das Wesentliche zu reduzieren.

Auch Lilith habe sich als roter Faden für die Erzählung gut angeboten: „Sie taucht immer wieder an verschiedenen Stellen auf.“ Ähnlichkeiten mit Figuren wie Pandora seien durchaus gegeben. Auch wenn sie in den Quellen nicht die gleiche Figur sind, Geschichten die gleiche Position ein: „Eine starke Frau, die immer wieder verteufelt wird“, erklärt die Schauspielerin.

Minimalismus siegt.

Langeweile kommt dabei über die Laufzeit von über einer Stunde nicht auf – trotz minimaler künstlerischer Gestaltung und Monolog. Sacher wechselt stets die Rollen und verkörpert die zentralen Charaktere aus mehreren tausend Jahren Glaubensgeschichte unterhaltsam und einfühlsam: Egal ob Macho-Adam, die etwas verstörende Erd-Göttin Gaia oder ein Cherubim, der vom Racheengel mit flammenden Schwertern kurzerhand zum Wonneproppen der Renaissance stilisiert wird. Lediglich ihr Kleid unterstützt Sacher dabei, die verschiedenen Charaktere zum Leben zu erwecken: Mit nur einem Handgriff wird aus dem roten Gewand eine Toga, ein Umhang, ja sogar ein Paar himmlische Engelsflügel. Auch sonst ist das Bühnenbild eher minimalistisch: Lediglich ein Zelt und ein Baum stehen im Hintergrund. Es werden nur wenige Requisiten verwendet, dafür werden diese umso kreativer eingesetzt. So wird zum Beispiel ein Holzschwert mit dem Schrei „Auf, in den Krieg ...“ heroisch in die Luft erhoben. Beim Nachsatz „... im Namen des Herren“ mit ruhiger, sakraler Stimme verwandelt es sich allerdings durch eine simple Drehung in ein Kreuz.

Dem Publikum hat das Stück sichtlich gefallen, wie es mit mehreren Runden begeistertem Applaus deutlich machte. „Es war göttlich“, hieß es von einem Zuschauer an die Darstellerin. Und dafür hat es nicht viel gebraucht: Kreativität, Wissen und ein rotes Kleid.

 

Odenwälder Zeitung, https://www.wnoz.de/, 08.08.23

 

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